Montag, 12. Oktober 2015

#181

UND DIE SONNE WAR BLOSS DRAUFGEKLEBT

Nur der Wind weht stark wie wir es waren

 



Der Boden ist gepflastert von gelben Ahornblättern. In allen Größen bilden sie einen Teppich, eine Straße aus Gold. Ich versuche mir einen Weg zwischen den Blättern zu bahnen. Es lenkt mich ein bisschen von den wiederkehrenden trüben Gedanken ab. Die Sonne versucht noch den letzten grauen Rest aus meinem Kopf zu vertreiben, doch mein Magen meldet sich zu Wort. Hunger. Ja, hungrig bin ich, aber Appetit habe ich keinen. Die letzten Wochen habe ich es mir angewöhnt, wenn ich Mist gebaut habe, dass ich mir das Essen verbiete. So wie heute. Gestern bin ich die halbe Nacht beim schnellen Wolf im Zimmer gesessen. Wir haben uns Videos angesehen und über Gott und die Welt geredet. Mein Weinglas füllte sich fast schon wie von selbst und mein Alkoholspiegel tat es ihm gleich. Kurz nachdem die Sonne aufgegangen war, hat er mich endlich nach Hause gefahren. Es ist nichts passiert, das hätte mir gerade noch gefehlt, aber vielleicht war das schon zu viel des „Gut-Meinens“. Meine Mutter war natürlich stinksauer. Kurz und knapp hatte ich wieder mal alles verbockt, was man irgendwie verbocken konnte. Notlügen bewahrten mich dann irgendwie davor, meine Schande vor ihr zuzugeben. Aber vielleicht konnte ich einfach nur mir selber die Schande nicht eingestehen. Mein Magen meldete sich in dem Augenblick zu Wort – mein Kopf auch. Essen gibt es nur für artige Mädchen, die sich an die Regeln halten. „Und du wolltest doch sowieso abnehmen.“, flüsterte Clyde mir ins Ohr, während ich mich nicht traue auf den goldenen Blättern zu gehen und mir einen Weg außen rum bahne.  


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