Samstag, 26. September 2015

#179

MEIN GEDÄCHTNIS IST MEIN FEIND

denn mein Krieg ist im Kopf


Jetzt könnte das Mädchen noch umdrehen. Jetzt auch noch. Jetzt könnte sie noch nach Hause fahren. Doch ihre Seele ist so rastlos. Ein Drink zu viel. Den hätte sie nicht trinken müssen. Sie müsste nicht mit diesem Kerl mitgehen - sie macht es aber trotzdem. Der Sex ist nicht mal wirklich prickelnd. Wieder Mal. Er ist lieb wirklich. Sie mochte ihn von Anhieb. Er war einer der guten Menschen, die Leben genießen konnten. Sie sollte aufhören zu vergleichen. Zu Hause überfällt sie der Schmutz. So schlecht hat sie sich seit Wochen nicht mehr gefühl. Sie hat ihre Freunde verraten. Wieder Mal. Niemand sollte sich mit ihr abgeben. Seht sie euch an - die Augenringe sind nicht mal mehr mit Make-Up zu überdecken. Ihre Augen wirken wie zwei leere Höhlen in ihrem schweren Kopf. Ihre Arme hängen schlaff an dem viel zu dicken Körper herunter. Heute hat sie es wieder Mal richtig verbockt. Essen? Hätte sie sich verdienen müssen. In den letzten 48 Stunden hat sie vielleicht vier bis 5 Stunden geschlafen. Und trotzdem ist sie nicht müde. Obwohl - müde ist sie schon. Nur schlafen kann sie nicht. Rastlos. Schlaflos. Ihre leere Seele gefüllt mit Schuld.  

 

Montag, 14. September 2015

#178

WO BIST DU GEWESEN? WARUM BIST DU SO KALT?

Möchtest du nicht reden? 


Ein Hauch von Nichts hat gerreicht, dass das Kartenhaus des Mädchens wieder in sich zusammen stürzte. Es war noch lange nicht fertig gebaut. Eine Karte falsch gesetzt. Einen Moment nicht achtsam gewesen. Eine einzige falsche Handbewegung. Ein zu schneller Herzschlag. Oder war er zu langsam? Lautlos fällt der Turm um. Still ist es im Inneren des Mädchens geworden. Sie lacht noch, schenkt einem ihrer Stammgäste noch ein Bier ein. Niemand sieht, dass ihre Finger zittern, dass ihr Blick sich ins Innere kehrt und ihre Gedanken schon längst draußen im Regen stehen.
Ja, die letzten Tage waren wieder sehr schwer gewesen. Zu leben. Zu atmen. Weiter zu machen. Es gibt diese Tage. Man schiebt die Gedanken zur Seite. Man reden sich ein, man lebe. Man versichert sich, dass man stark ist. Und dann kommt diese eine Nacht, in der ein einziges Glas Wein ausreicht, um den Zusammenbruch nicht mehr aufhalten zu können.
Der nasse Asphalt unter ihrem Körper fühlt sich nicht wie der Boden an, sondern wie fallen. Die Fantasie spinnt wirre Gedanken im Kopf. Eine Stimme des Mädchens freut sich auf die Klinge. Sie hat sich schon eine Stelle ausgesucht. Eine andere Stimme des Mädchens hat furchtbare Angst davor. Schritte nähern sich. Aufhören zu atmen. Clive? Nein. Ein Freund, ein guter Freund, berührt sie am Arm. Er hilft ihr hoch. Er sieht sie an. Er fragt sie. Doch das Mädchen antwortet nicht. Nuschelt nur vor sich hin. Zu viel Alkohol. Es ist nicht der Alkohol. Es ist zuviel Leben. Zuviel passiert. Zuviel Unsicherheit. Zuviel eingebildetes Selbstbewusstsein. Er nimmt sie bei der Hand und bringt sie nach Hause. Doch bevor sie sich zu ihm ins Bett legt, sich an seiner Brust ausruht, wissend, dass er sie nicht anrühren würde, verschwindet sie noch hinter dieser grauen Wand. Die Beuel an ihrem Kopf ist der Kompromiss zwischen den beiden Stimmen. Ihr Kopf ist heute zu taub um nochmal ihre Karten zu sortieren. Morgen vielleicht.
Doch viel wichtiger ist es heute, dass sie überlebt habt. Verwundet. In ihrer Ehre gekränkt. Aber nicht tot. Nicht ernsthaft verletzt. Und sie wird wieder aufstehen. Das Mädchen wird kämpfen. Tag für Tag.